Alte Sorten
Seit Jahrtausenden sind unzählige Menschen bemüht, eßbare Pflanzen
durch Selektion und Zucht zu veredeln. Die daraus entstanden vielfältigen
Kultursorten, dienten den Menschen als Nahrung und zum Genus, bewahrten
vor Krankheiten und Mangelerscheinungen.
Mit der industriellen Revolution kam die grüne Revolution mit technischen
Erleichterungen, Mineraldünger und chemischen Pflanzenschutz für die Landwirtschaft.
Die Erträge stiegen, Nahrungsmittel wurden zunehmend preiswerter und die
Selbstversorgung aus dem eigenen Garten schien vielen nicht mehr angebracht.
Im Zuge der grünen Revolution wurden neue Sorten gezüchtet, die höhere Erträge
bei größerer Düngergabe lieferten. Gleichsam wurden chemische Pflanzenschutzmittel
entwickelt, die diese Mehrerträge sichern sollten.
Die moderne Landwirtschaft vergaß die alten Sorten und konzentrierte sich
viele Jahrzehnte ausschließlich auf den Ertrag. Hobbygärtner und Selbstversorger
stiegen ebenfalls auf ertragreichere Hybrid-Sorten um.
So ging laut FAO In den vergangenen 100 Jahren weltweit etwa 75 Prozent
der landwirtschaftlich
genutzten Vielfalt verloren. Sogar Pflanzenarten wurden vergessen. Im Südosten
Frankreichs wurden bis ins 20. Jh. 250 Pflanzenarten kultiviert und verwendet,
heute jedoch nur noch 60 Arten.
Im Zuge dieses Wandels haben die Menschen die Nahrungserzeugung einer größtenteils
Gewinn orientierten Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie überlassen.
Hierbei geht nicht nur eine Viefalt von Kulturpflanzen verloren, sondern
auch ihr Reichtum an Geschmäcken und Inhaltsstoffen die von Sorte zu Sorte
variieren.
oben: Roter Meier - unten: Speierling (Sorbus domestica)
Neues erforschen, altes erhalten
In der Pflanzenzüchtung gibt es ständig neue Erkenntnisse
die Züchtungsfortschritte beschleunigen. Anfang des 20. Jahrhunderts war
Hybridzüchtung ein viel beschrittener Weg zur Ertragssteigerung und homogenisierung
der Sorten. Durch Gewebekultur, Smart Breading dank Gentechnik und CMS-Hybriden
wurden Züchtungsfortschritte in immer kürzerer Zeit erzielt.
Derzeit entwickeln Forscher Anwendungsverfahren der Crispr/CAS-Technik zur
punktgenauen Modulation von Erbgut, um in der Zucht gezielt nicht artfremde
Gene an- und abschalten zu können, was offiziel nicht als gentechnische
Veränderung gilt.
Während wir das Erbgut unserer Kulturpflanzen im Eiltempo verändern, sollten
wir das alte Erbgut zu Sicherheit bewahren.
Wo sind die alten Sorten?
Ein Teil des alten Saatgutes unserer Vorfahren wurde in Genbanken
eingelagert. Dort wird das Saatgut in regelmäßigen Abständen angebaut, vermehrt
und gelagert. Eine Selektion nach Farbe, Form, Geschmack und vielem mehr
findet dort nicht statt. So wird in erster Linie das genetische Potential,
nicht aber die Charakteristik der Sorten bewahrt.
Restriktive Bestimmungen der Saatgutgesetze verhindern, dass alte Sorten
eine Marktanteil beim Sortenangebot erzielen. Dadurch werden alte Sorten
nicht mehr ausreichend in lebendigen Gärten erhalten und gehen weiterhin
verloren.
Vereine zur Erhaltung der Sortenvielfalt von Nutzpflanzen und Nutztierrassen sind bemüht viele dieser alten Sorten zu erhalten und weiterzugeben. Arche Noah in Österreich, Pro Specie Rara & Anhaloniu in der Schweiz, Kraischschoschtegard in Luxenbourg, Ven, VERN & Freie-Saaten.org in Deutschland haben sich zu diesem Zweck gegründet.
Mit dem Rückgang alter Kultursorten gingen auch das Wissen über die Saatguterhaltung
dieser Gartenvielfalt verloren. Während es früher üblich und notwendig war
sein eigenes Saatgut zu erhalten, wird heute in der Regel Saatgut immer
wieder neu gekauft.
Saatgut entsteht reichlich von selbst
Jede Pflanze strebt danach sich zu vermehren. Der Gärtner unterstützt sie
dabei, gibt ihr ausreichend Platz und Dünger, schützt sie vor fremden Pollen,
bewahrt sie vor Schädlingen, bindet sie fest und rettet das gewachsene Saatgut
vor Fäule und Frost. Dies bereitet zwar viel Arbeit, ist jedoch ein ganzheitliches
Vorgehen im Bezug auf die Kulturpflanze, da sie sich im lebendigen Garten
an die jeweiligen Umweltbedingung anpassen kann. Die Pflanze passt sich
epigenetisch an, um in kommenden Generationen besser zu gedeihen, was wiederum
dem Gärtner viel Freude bereitet.
Blühende Nutzpflanzen dienen nicht nur der Saatgutvermehrung. Sie sind auch
besonders schön. Oftmals schöner als ihre wilden Verwandten. Ob die Pflanze
dem Gärtner dadurch inspirieren möchte oder der Gärtner auch nach Schönheit
selektierte, lässt sich nach Jahrtausenden Züchtungsgeschichte kaum ergründen.